KVI-Mitgliederversammlung 2023: Keine Zeit zum Durchatmen

24. Jul, 2023

Am 20.07.2023 fand die Ordentliche Mitgliederversammlung des Verbands der Kunststoff verarbeitenden Industrie in Bayern e.V. im Hotel Bauer in Feldkirchen bei München statt. Die Mitgliedsfirmen haben dabei turnusgemäß ihren Vorstand, den Wirtschaftspolitischen Ausschuss sowie die Rechnungsprüfer für die nächsten zwei Jahre gewählt. Gastredner Dr. Michael Schlipf, Geschäftsführer der FPS GmbH, Burgkirchen a.d. Alz, Mitglied im Vorstand und Vorsitzender der Fluorpolymergruppe des pro-K Industrieverbands Halbzeuge und Konsumprodukte aus Kunststoff e.V., machte in seinem Vortrag eindrücklich auf die besondere Rolle der Fluorpolymere in aktuellen Megatrends aufmerksam. Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen PFAS-Beschränkungsvorschlags ein immens wichtiges Thema auch für unsere Branche.

 
Sinkende Nachfrage, Produktionseinbruch, Inflationseffekt und neue Regulierungen: die aktuelle Lage

Nach einem kurzen Blick zurück auf die Folgen der Corona-Pandemie und des Ukrainekriegs sowie den daraus entstandenen massiven Auswirkungen auf die Preisentwicklung und die Verfügbarkeit von Rohstoffen für die Kunststoffbranche, berichtete unser Vorstandsvorsitzender, Christoph Faßhauer, dass sich die Öl- und Polymerpreise sowie Lieferkettenprobleme mittlerweile weitgehend beruhigt hätten.

Das klinge zwar zunächst gut – Zeit zum Durchatmen und Erholen gebe es jedoch nicht: Umsatzsteigerungen (2022 vs. Vorjahr: bundesweit 10,2%, in Bayern 9,4%) wurden nicht aufgrund gestiegener Absatzmengen verzeichnet, sondern waren vor allem der anhaltend hohen Inflation geschuldet. „Bei der Produktion lagen wir in Bayern im Monatsdurchschnitt um 1,8% unter dem Vorjahr“, berichtete Faßhauer. Damit handle es sich bei den Umsatzzuwächsen nicht um einen Volumen- sondern einen Inflationseffekt. Preisliche Entwicklungen konnten nicht immer weitergegeben werden. Zudem habe die Branche – wie viele andere Industrien – mit einem Nachfragerückgang zu kämpfen. Mit einem erwarteten Wirtschaftswachstum 2023 zwischen einem Minus von 0,5% und einem Plus von 0,4% lässt die Konjunkturprognose der Wirtschaftsinstitute auch keine rosige Zukunft erwarten. Speziell in Deutschland wirkt sich die Knappheit an Energieträgern mit den damit verbundenen hohen Strompreisen zusätzlich negativ auf die Inflation sowie die Wettbewerbsfähigkeit aus. Mit Verweis auf die aktuelle Lage berichtete Faßhauer von einem Rückgang in den ersten vier Monaten 2023: im Zeitraum Januar bis April 2023 brach die Produktion gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 7,1% ein, der Umsatz blieb im gleichen Zeitraum um 2,3% unter dem Vorjahr zurück.

Einen kleinen Lichtblick gebe es im kürzlich (Juni 2023) veröffentlichen ifo-Index, fuhr Faßhauer fort. Trotz des wenig positiven Gesamttrends zeige die Prognose für die Kunststoffbranche in Bayern leicht nach oben. Auch wenn noch in heftiger Diskussion, mache der Vorschlag für einen dringend erforderlichen Industriestrompreis etwas Hoffnung. Andererseits mache der Mangel an Fachkräften und Auszubildenden den Mitgliedsfirmen weiterhin zu schaffen. Zusätzlich belasteten umfangreiche Entwicklungen auf Europaebene die Industrie: der Paradigmenwechsel in der EU-Chemikalienstrategie weg von einer Risikobewertung, der Vorschlag zur PFAS-Regulierung. Und nicht zuletzt beeinflussten auch außereuropäische Programme wie der „Inflation Reduction Act“ in den USA die Wettbewerbsfähigkeit der Branche. 

Christoph Faßhauer

 
Herausforderungen meistern – mit einer international wettbewerbsfähigen und resilienten industriellen Basis

Unser Geschäftsführer, Walter Vogg, griff in seinem Bericht die Herausforderungen des vergangenen Jahres sowie die damit zusammenhängenden politischen und gesellschaftlichen Diskussionen nochmals auf und hinterfragte dabei unter anderem, ob bei Regierungsvorhaben wie z.B. dem geplanten Energieeffizienzgesetz oder der Abschaffung des Spitzenausgleichs bei der Stromsteuer auch die Konsequenzen für die Industrie ausreichend berücksichtigt wurden. Er habe den Eindruck, so Vogg, dass die entscheidende Rolle einer international wettbewerbsfähigen und resilienten industriellen Basis bei der Lösung der Herausforderungen noch nicht erkannt worden sei und wies auf dringenden Handlungsbedarf hin. Es sei wichtig, sich jetzt auf die Kernthemen zu fokussieren, die auch die wirtschaftspolitische Verbandsarbeit prägten: Neben einer sicheren Energieversorgung mit der notwendigen Infrastruktur zu international wettbewerbsfähigen Preisen sei auch eine Chemikalienregulierung mit Augenmaß in Verbindung mit einem Belastungsmoratorium von großer Bedeutung für unsere Zukunft, sowie nicht zuletzt eine Beschleunigung der Genehmigungsprozesse – einschließlich der Prozesse für die Anpassung der Produktionsanlagen. Hinzu komme das laufende PFAS-Beschränkungsverfahren, das in seiner aktuellen Form branchenübergreifend verheerende Folgen nach sich zöge.

In seinem weiteren Tätigkeitsbericht beschrieb Walter Vogg die vielfältigen Kernaufgaben des Arbeitgeberverbandes, die von den Juristinnen und Juristen der Rechtsabteilung für die Mitgliedsunternehmen erledigt wurden. Diese reichten von einer Vielzahl von Einzelberatungen, Schulungen und Seminaren oder Vertretung vor Gerichten bis hin zu übergeordneten arbeits-, tarif- und sozialpolitischen Themen, wie der Pflicht zur Zeiterfassung, dem Hinweisgeberschutzgesetz, der Umsetzung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, dem Beschäftigtendatenschutz, dem Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz oder der Vergütung von Betriebsräten und der Diskussion zum mobilen Arbeiten, um hier nur einige Beispiele zu nennen.

Ein weiteres wichtiges Thema mit dem sich der Verband beschäftigt, war der bereits angesprochene Mangel an Auszubildenden. 2022 konnten 112 von 295 Ausbildungsplätzen (38%) nicht besetzt werden. „Lassen Sie in Ihren Ausbildungsbemühungen nicht nach“ forderte Vogg die Mitgliedsunternehmen auf. Es sei außerordentlich wichtig, junge Menschen auszubilden, denn „wer heute nicht ausgebildet wird, wird unserer Branche morgen fehlen!“

Zum Abschluss seines Berichts analysierte unser Geschäftsführer Walter Vogg die Tarifverhandlungen und Abschlüsse der letzten Krisenjahre und erinnerte an die bevorstehenden Tarifverhandlungen im Herbst 2023.

Walter Vogg

 
Fachkräftemangel, Nachfrageschwäche und weitere Risiken: Aussprache der Mitgliedsfirmen

Auch in der anschließenden Aussprache der Mitgliedsfirmen standen die Themen Ausbildung und Fachkräftemangel zunächst im Mittelpunkt: vom direkten Kontakt zu Schulen und der Möglichkeit von Schnupperpraktika bis hin zu Plakataktionen – unsere Mitgliedsunternehmen lassen nichts unversucht, um junge Leute oft vor Ort zu erreichen und bauen dabei besonders auf lokalen Nachwuchs. Attraktive Programme wie Teilqualifizierung, Fast-Track-Ausbildung und Auslandsrotationen in der Ausbildung sind nur ein Teil der innovativen Maßnahmen, die von einzelnen Unternehmen genannt wurden, um Auszubildende zu gewinnen und Fachkräfte zu halten.

Steigende Energie- und damit Produktionskosten und zunehmende Konkurrenz aus dem außereuropäischen Ausland bereiten aktuell ebenfalls Probleme. Die Auswirkungen der letzten Krisen lassen zwar etwas nach. Doch die zunehmende inflationsbedingte Nachfrageschwäche, strukturelle Marktveränderungen infolge der Transformation sowie auch geostrategische Risiken bei international tätigen Unternehmen führen jedoch zu neuen Schwierigkeiten. Hier werden aber auch Chancen gesehen, z.B. im Ausbau der Automatisierung zur Kostensenkung oder die Entwicklung „grüner“ Prozesse für eine nachhaltige Produktion.

Diskutiert wurden schließlich auch die regulatorischen Herausforderungen, welchen sich die Mitgliedsfirmen im Rahmen der vorgeschlagenen PFAS-Regulierung nun stellen müssen. Deren Auswirkungen werden sowohl die Unternehmen selbst als auch wichtige gesellschaftliche Anwendungen wie z.B. im Baubereich oder bei Medizinprodukten betreffen.

 

 
Neuwahl des Vorstands und der Gremien

Bei den Gremienwahlen für die Wahlperiode 2023-2025 wurde Herr Christoph Faßhauer (Oechsler AG, Ansbach) erneut zum Vorsitzenden gewählt. Als stellvertretende Vorsitzende wurden Herr Dr. Andreas Gasse (allfo group, Waltenhofen), Herr Thomas Konetznick (uvex group, Fürth) und Herr Christian Wallstabe (Dichtungstechnik Wallstabe & Schneider GmbH & Co. KG, Niederwinkling) gewählt.  https://www.kvi-bayern.de/vorstand/

V. li. nach re.: Christoph Faßhauer, Thomas Konetznick, Dr. Andreas Gasse, Christian Wallstabe

 

Appell zur Mitgestaltung der PFAS-Regulierung: Gastredner Dr. Schlipf zur außerordentlichen Bedeutung der Fluorpolymere und deren Einordnung in die Stoffklasse PFAS

Dr. Michael Schlipf machte ausdrücklich auf die einzigartigen Eigenschaften der Fluorpolymere aufmerksam und betonte vor allem deren besondere Rolle in aktuellen Megatrends wie der 5G-Datenübermittlung, in Elektrolysezellen zur Herstellung von grünem Wasserstoff und dem Ausbau der E-Mobilität. „In der Gebrauchsphase sind Fluorpolymere sicher“, stellte Dr. Schlipf klar und der Prozess des chemischen Recyclings nach Gebrauch erlaube die Wiederverwendung der Fluorpolymere ohne qualitative Nachteile – Fluorpolymere eigneten sich somit für eine Kreislaufwirtschaft.

Dr. Schlipf betonte zudem, dass wir uns nicht nur als Branche, sondern auch als Gesellschaft bewusst machen sollten, wie sehr wir uns tagtäglich auf Fluorpolymere verlassen: So basierten wichtige Komponenten der kommunalen Wasserversorgung oder auch der Abluftreinigung von Rauchgasen nach dem aktuellen Stand der Technik auf Basis von Fluorpolymeren. Auch die Innenauskleidung des Schlauchs an der Tankstelle bestehe aus Fluorpolymeren. Fluorpolymere werden als Material für Stents in der Medizin verwendet, machten das Dach der Allianz-Arena aus und finden sich in zahlreichen Alltagsgegenständen. „Innerhalb der Stoffklasse der PFAS, die über 10.000 Stoffe umfasst, finden wir 38 Fluorpolymere. Von der OECD werden diese als „products of low concern“ eingestuft“, erläuterte Dr. Schlipf. Trotzdem soll ihre Verwendung verboten werden. Dabei wäre es denkbar, die geplante Regulierung so zu gestalten, dass dadurch Restemissionen niedermolekularer PFAS bei der Herstellung (geschlossenen Wasserkreisläufe) sowie nach dem Ende des Produktlebenszyklus (chemische Recyclingverfahren) weitgehend vermieden werden können.

Dr. Schlipf wies darauf hin, dass Unternehmen, die im Wertschöpfungsprozess beteiligt sind und Fluorpolymere nutzen, sich mit Blick auf eine zukünftige Regulierung aktiv einbringen können und sollten. Bis zum 22. September 2023 können Anmerkungen sowie Auswirkungen und Alternativvorschläge zur geplanten PFAS-Regulierung im Rahmen der öffentlichen Konsultation der Europäischen Chemikalienagentur eingebracht werden. Dr. Schlipf appellierte eindringlich, an diesem Konsultationsverfahren teilzunehmen.

Dr. Michael Schlipf

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner